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Channel: Kommentare zu: Gedanken zur Intendanz von Heiner Goebbels
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Von: Stefan Rosinski

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So sehr die Freude zu verstehen ist, dass hier womöglich einer der „Unseren“ oder „Ihrigen“, jedenfalls einer, der außerhalb des irgendwie Erwartbaren steht (und das als Musiker), so sehr dies zu begrüßen ist, darf doch nicht außer Sicht geraten, was ich in Ermangelung eines Besseren als Realitätsprinzip bezeichnen würde. Die Kulturpolitik folgt ihrer eigenen Logik, und die ist strategischer und gleichzeitig leider oft banaler, als der Künstler es sich in seiner Phantasie ausmalt. Wenn in den Beiträgen hier vom „erfolgreichen Künstler“ die Rede ist, dann ahnt man etwa, was damit gemeint ist – aber das hat leider kaum etwas zu tun mit der Definition desselben durch Ministerialbeamte, die über Berufungen befinden wie beispielsweise der Ruhrtriennale.
Pardon, man macht es sich zu leicht mit der anklingenden Unterstellung, dass Mittelmässigkeit ein Weg zum Erfolg sei (hier werden Sciarrino und Rihm genannt). Das Gegenteil ist der Fall. Doch müssen sich die Künstler, deren Werke vielleicht tatsächlich technisch überdurchschnittlich sind, die Frage gefallen lassen, warum ihre Arbeiten nicht in einem weiteren Rahmen anschlussfähig werden (ich nehme an, dass dies als „Erfolg“ bezeichnet wird). Damit rede ich keineswegs dem Schielen aufs Publikum das Wort (überleben tut sowieso nur, was historische Relevanz besitzt). Aber das Leben und auch das Werk besitzt immer mehrere Optionen. Man kann ohne weiteres Esoterisches mit Exoterischem kombinieren. Warum nicht die Form wagen, die sich an das gröbere Orientierungsvermögen des Publikums (das immer noch ein „Fach“-Publikum bleibt) annähert – und doch darin, in der Detailarbeit, die künstlerische Linie bewahrt? Ich selbst habe die Maerzmusik mit Sciarrinos letzter Oper an die Volksbühne in Berlin eingeladen, eine Inszenierung von Rebecca Horn. Alle drei Vorstellungen waren ausverkauft, das Publikum am ersten Abend bestand aus der gängigen Theater-Promi-Gemeinde, die im Grunde nicht viel mehr wussten (und auch nicht wissen mussten, um zu kommen) als das Label: „Oper, tragische Liebesgeschichte, bedeutender zeitgenössischer Komponist“. Ich weiss nicht, wie viele der Anwesenden substantiell etwas „verstanden“ haben, Fakt bleibt, dass es zweifelsohne ein „Erfolg“ war: die Menschen mochten es und haben diese merkwürdige „Zwitscheroper“ weiter empfohlen. Warum? Weil sie imstande waren, den Abend mit ihrer Alltagskompetenz zu lesen (und die wenigen Fachleute natürlich mit der ihren). Nietzsche hat das einmal als „doppelte Optik“ bezeichnet: ein Werk zu verabgründigen und dennoch Wohlklang zu erzeugen. Dabei braucht es noch nicht mal den Mannschen Wohlklang. Aber die – sagen wir es im Sinne Roland Barthes‘: mythologische – Anschlussfähigkeit an den gängigen Diskurs. Jedenfalls wenn man „Wirkung“ ernsthaft ins Auge fast. In dieser Hinsicht kann man einiges bei dem an dieser Stelle großen Pragmatiker Hegel lernen, der Kunst, die nicht den Anspruch darauf erheben würde, in die Geschichtsarchive der Allgemeinheit zu kommen, erst gar nicht gelten lassen wollte.
Nun wird wahrscheinlich jeder Gegenwartskomponist genau das von sich behaupten. Doch wissen die wenigsten leider, was der Theaterpragmatiker Brecht sein Leben lang reflektiert hat: Wie bekomme ich meine Arbeit so auf den Tisch geschmuggelt, dass das eigentlich (politisch) Ungenießbare doch als schmackhaft gilt? „List“ könnte man das nennen. Auch und gerade Alexander Kluge wüsste ein Lied davon zu singen. Und eben Heiner Goebbels. Und er wird den Teufel tun, sein Kapital zu verspielen (das „schützt“ das Publikum vor allzu großen Überraschungen!). Ein Festival zu leiten hat immer auch etwas mit Pädagogik zu tun, und welcher Lehrer (der nie von sich sagen würde, er sei ein Erzieher) möchte schon, dass seine Schüler Reißaus nehmen – sie sollen ja etwas lernen! Dazu hat er ja, neben seinem inhaltlichen Fach, auch Pädagogik studiert.
Die Logik der Beamten? Zum Ernüchtern: ab 2014 wird Luc Bondy das Festival leiten. Es war also ein Leiter für die vergleichsweise kurze Zwischenzeit von zwei Spielzeiten zu finden. Und da Herr Bondy zu den konservativen Vertretern gehört, steht es gut an, ein zeitlich begrenztes Risiko mit Heiner Goebbels einzugehen, sozusagen als eine Art Alibi. Das freilich soll Goebbels nicht irritieren; ich bin überzeugt, er ist schlau und hintergründig genug, diese Kalkulationen der Politik (Avantgarde legitimiert Konservatismus) subtil zu unterlaufen. Allerdings mit einer doppelten Optik: denn auch er braucht und will volle Säle. Schon für sich als erfolgreicher, d.h. im Wortsinn: be-deutender Künstler.
Grüße, SR


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